Das Mittagstief, auch postprandiale Somnolenz genannt, beschreibt die allgemeine Müdigkeit, die nach dem Mittagessen auftritt und oft als Leistungseinbruch empfunden wird. Viele Menschen verwechseln diese Müdigkeit mit zu wenig Schlaf in der vergangenen Nacht. Häufige Anzeichen sind vermehrtes Gähnen, ein Gefühl von Schlappheit, Antriebslosigkeit und eine spürbare Abnahme der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Auch das Reaktionsvermögen kann sich verlangsamen und kurze Sekundenschlafphasen können auftreten.
Schwere und fettreiche Mahlzeiten können das Mittagstief verstärken, da der Magen mehr Zeit und Energie für die Verdauung benötigt. Interessanterweise zeigen neuere Studien, dass nicht unbedingt Kohlenhydrate, sondern vielmehr Proteine und Salz das Auftreten des Mittagstiefs begünstigen. Lebensmittel mit einem hohen Eiweiss- und Kohlenhydratgehalt können zu einer stärkeren Müdigkeit führen als andere.
Biorhythmus, die innere Uhr des Menschen, tickt bei jedem Menschen individuell. Dennoch gibt es in unserem Schlaf- und Wachrhythmus regelmässige Phasen, in denen wir besonders aktiv sind, und Zeiten, in denen Körper und Geist zur Ruhe kommen und sich erholen müssen. Das Mittagstief tritt in der Regel zwischen 12 und 15 Uhr auf, unabhängig vom individuellen Chronotyp, so der Schlafforscher Jürgen Zulley. Gesteuert wird dieses Phänomen von Hormonen und Botenstoffen, die jeweils eigene Tag-Nacht-Zyklen durchlaufen und zu unterschiedlichen Wachheits-, Kraft- und Konzentrationszuständen führen, wie Schlafforscher, Mediziner und Biologen längst nachgewiesen haben.
Das Mittagstief ist also biologisch bedingt und völlig normal. Es tritt bei allen Menschen auf, unabhängig davon, ob sie zu Mittag essen oder nicht. Essen kann die Müdigkeit verstärken, weil der Körper zusätzliche Energie für die Verdauung braucht, aber auch wenn man über Mittag fastet, bleibt das Mittagstief bestehen.
Wieso kann die Ernährung das Mittagstief verstärken? Nach der Nahrungsaufnahme beansprucht der Verdauungstrakteine beträchtliche Menge an Energie, die dem Rest des Körpers entzogen oder auf die Körperregion konzentriert wird, die sie am dringendsten benötigt. Dies führt zu einer Einschränkung der körperlichen und geistigen Aktivität. Das Blut, das für die Verdauung verwendet wird, steht dem Gehirn nicht in ausreichender Menge zur Verfügung, was sich negativ auf die Konzentrationsfähigkeit auswirken kann. Studien zeigen, dass vor allem zwei Faktoren für das Mittagstief verantwortlich sind: Schwankungen des Blutzuckerspiegels durch die Nahrungsaufnahme und die anstrengende Verdauung von „schweren” Speisen, die oft zu verstärkter Müdigkeit führt. Einige Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass auch die erhöhte Produktion von Serotonin nach dem Essen eine Rolle beim Auftreten des Mittagstiefs spielen könnte. Serotonin ist ein Neurotransmitter, der an der Regulierung der Stimmung und des Schlafzyklus beteiligt ist.
Gegen das Mittagstief sollte man nicht auf Energydrinks, Koffeintabletten oder Alkohol zurückgreifen. Diese versprechen zwar zu Beginn einen schnellen Energieschub und können kurzfristig aktivieren, haben aber nach dem Nachlassen der Wirkung oft einen noch stärkeren Leistungsabfall zur Folge.
Insbesondere Kaffee ist nach der Mittagspause beliebt, da das enthaltene Koffein einen weiteren Energiestoss gibt. Da zu viel Koffein jedoch den gegenteiligen Effekt haben kann, ist es wichtig, die Menge zu begrenzen. Ein zu hoher Koffeinkonsum kann sich nicht nur negativ auf den Rest des Arbeitstages auswirken, sondern auch zu Störungen des Schlafes führen. Es wird empfohlen, nicht mehr als drei normale Tassen Kaffee pro Tag zu trinken und den Konsum nach 16 Uhr einzuschränken.
Die Dauer und Schwere der Müdigkeit nach einer Mahlzeit hängt gewissermassen von deren Fettgehalt ab, da fettreiche Mahlzeiten länger im Magen verweilen und mehr Verdauungsarbeit erfordern. Ein hoher Verzehr von Kohlenhydraten kann ebenfalls einen rapiden Anstieg des Blutzuckerspiegels und anschliessenden Abfall verursachen, was zu weiterer Abgeschlagenheit führen kann. Daher kann ein gesundes Mittagessen mit niedrigem Kohlenhydratgehalt oder einer reduzierten Kalorienmenge sinnvoll sein, um das Mittagstief zu vermeiden.
Für diejenigen, die gerne deftig essen, ist es ratsam, während der Arbeitszeit auf schwerverdauliche Produkte zu verzichten und stattdessen leichtere Nahrungsmittel zu bevorzugen. Die Auswahl von leichteren Alternativen wie gekochten Kartoffeln anstelle von Pommes, Vollkornnudeln anstelle von Nudeln aus weissem Mehl und fettarmem, unpaniertem Fisch anstelle von schwerem Fleisch kann dazu beitragen, die Müdigkeit zu reduzieren.
Einige Lebensmittel wie Fleisch, Hülsenfrüchte, Käse, Eier und Sahnesossen enthalten Tryptophan, das im Körper in Serotonin umgewandelt wird. Serotonin beeinflusst nicht nur die Stimmung, sondern auch den Schlaf-Wach-Rhythmus und das Appetitgefühl. Ein erhöhter Serotoninspiegel kann zu tiefer Entspannung, aber auch zu Schläfrigkeit führen, daher ist eine bewusste Auswahl von Lebensmitteln wichtig, um das Mittagstief zu minimieren.
Studien haben gezeigt, dass Powernaps, also gezielte kurze Schlafpausen, die Leistungsfähigkeit um bis zu 35% steigern können. Die kurze Ruhepause ermöglicht dem Körper eine passive Erholung, was sich positiv auf Konzentration, Gedächtnis, Kreativität und körperliche Leistungsfähigkeit auswirkt.
Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass Powernaps viele positive Effekte haben. Piloten beispielsweise waren nach Powernaps aufmerksamer und reaktionsschneller. Powernaps können dazu beitragen, Unfälle durch Übermüdung zu verhindern, komplexe Probleme zu lösen und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu reduzieren.
Trotzdem wissen Schlafforscher noch nicht genau, warum Powernaps so gut funktionieren. Es wird vermutet, dass während des Powernaps bestimmte Prozesse im Körper heruntergefahren werden können, wie beispielsweise die Ansammlung von Stoffwechselprodukten wie Adenosin, das Müdigkeit verursacht, oder die Reduzierung von Stresshormonen. Dies kann dazu beitragen, das Herz-Kreislauf-System zu beruhigen und Gedächtnisprozesse zu fördern.
Ein optimaler Powernap sollte etwa 20 Minuten dauern, da in dieser Zeit die Tiefschlafphase noch nicht erreicht wird und das Aufwachen daher leichter fällt. Studien zeigen, dass ein kurzer 20-minütiger Schlaf mehr Energie spendet als 20 Minuten längeres Schlafen am Morgen. Interessanterweise kann sogar eine halbe Stunde Mittagsschlaf das Risiko eines Herzinfarkts um 37% senken, wie eine Studie der medizinischen Hochschule in Athen herausfand. Weitere Untersuchungen am Wiener Institut für Schlaf-Wach-Forschung haben gezeigt, dass schon kurze Schlafphasen von 3 bis 10 Minuten die Aufmerksamkeit steigern und die Stimmung verbessern können.
Experten raten davon ab, länger als 30 Minuten zu schlafen, um das Eintauchen in Tiefschlafphasen oder REM-Schlafphasen zu vermeiden, was zu einer erhöhten Schläfrigkeit nach dem Aufwachen führen kann. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass der Mittagsschlaf das abendliche Einschlafen und den nächtlichen Schlaf beeinträchtigen kann, wenn er zu spät am Nachmittag genommen wird.
Für einen effektiven Powernap ist es ratsam, sich nicht ins Bett hinzulegen, sondern auf der Couch oder im Liegesessel zu ruhen und den Raum nicht komplett abzudunkeln, um das Aufstehen anschliessend zu erleichtern. Es ist auch wichtig, sich an einen ungestörten Ort zurückzuziehen und möglicherweise das Handy stummzuschalten, um die Ruhephase optimal zu nutzen.
Das Mittagstief ist ein alltägliches Phänomen, das viele von uns betrifft, aber es gibt viele Möglichkeiten, diesem Energietief entgegenzuwirken. Von Powernaps über gesunde Ernährung bis hin zu Adaptogenen wie Rhodiola Rosea und Ginkgo Biloba gibt es verschiedene Ansätze, um der Müdigkeitsspirale zu entkommen. Wenn wir diese Strategien nutzen und anwenden, können wir nicht nur das Mittagstief überwinden, sondern auch unsere Produktivität steigern und den Rest des Tages mit neuer Energie angehen.